Andri, ein junger Mann, wird von seinem Vater unehelich mit
einer Ausländerin gezeugt und von diesem als jüdischer
Pflegesohn ausgegeben. Die Bewohner Andorras begegnen
Andri permanent mit Vorurteilen, so dass er, selbst nachdem
er seine wahre Herkunft erfahren hat, an der ihm
zugewiesenen jüdischen Identität festhält. Es folgt seine
Ermordung durch ein rassistisches Nachbarvolk. Nachdem
die Andorraner alles geschehen ließen, rechtfertigen sie ihr
Fehlverhalten und ihre Feigheit vor dem Publikum und
leugnen ihre Schuld.
Das Ensemble präsentiert “Andorra” als ein soziologisches
Modell, von Theaterfiguren durchgespielt, als eine
Versuchsanordnung zwischen Menschengruppen, die ihre
eigenen Probleme nur durch Projektionen bewältigen
können.
Die Figuren aus „Andorra“ verdeutlichen mit welcher
Zwangsläufigkeit bestimmte soziale Bedingungen – Orte, an
denen wir alle leben – kollektive Vorurteile und
entsprechende Gewalthandlungen hervorbringen können,
und welche Bedürfnisse, Empfindungen und Phantasien
auch die Jugendlichen dafür anfällig machen (können).
Darsteller
Adrien Einecke / Amelie Karl / Benjamin
Förtsch / Bersun Boztepe / Carla Volk
David Ziegler / Fee Forberich / Felix Simon
Jan Gottwald / Joshua Alberti / Joshua
Ruddock / Lara Tillner / Lea Segieth / Lena
Felberbauer / Leonard Gürtler / Sofia
Janßen Ortiz / Sven Göbel / Gesa Brieskorn
Premiere
Landungsbrücken Frankfurt
21. April 2015
Projekt
Eine Kooperation zwischen theater et zetera
und der
Jugend-Kultur-Werkstatt Falkenheim Gallus
e.V.
Opener
Andorra
Aufführung Landungsbrücken Frankfurt
Aufführungsdaten
Für ein schneeweißes
Andorra
Frankfurter Rundschau vom 23. April 2015
Beklemmend wie am ersten Tag: Max
Frischs Klassiker „Andorra“ in den
Landungsbrücken in Frankfurt, mit
Schülerinnen und Schülern des „theater et
zetera“. Ein Lehrstück für Publikum und
Akteure.
Woher wisst ihr eigentlich alle, wie der Jud’ ist?“
Neben den vielen Fragen, die Max Frisch mit
seinem Drama „Andorra“ aufwirft, ist diese
sicherlich eine der drängendsten. Andri, der
Protagonist, wirft sie seinen Mitmenschen an
den Kopf, schleudert ihnen damit seine
vermeintliche Identität entgegen, an der er so
entschieden festhält, dass es ihn am Ende das
Leben kostet. Das Stück, uraufgeführt 1961 im
Schauspielhaus Zürich, prägte wie kaum ein
anderes den Umgang mit der Judenverfolgung
in der Nachkriegszeit. Bei der Aufführung des
„theater et zetera“ wird deutlich, wie wenig wir
uns von den Schrecken, die Frisch in den
sechziger Jahren malte, entfernt haben.
Die Schauspieler, allesamt zwischen 12 und 16
Jahre alt, winden sich, grämen sich, bespucken
sich, und vor allem misstrauen sie sich. Auf der
Bühne in den Landungsbrücken im „wilden
Frankfurter Westen“, wie die Gründer es
nennen, wird klar: Das, was Vorurteile, Ängste
und Unwissen mit den Menschen machen, ist
heute nicht anders als in den Jahren, in denen
der Judenhass in Deutschland und Europa so
groß war wie nie.
Er kann es nicht mehr hören
„Ich kann es nicht mehr hören, überall höre ich
nur Jud’, Jud’, Jud’!“, schimpft der Lehrer Can,
der Vater des angeblichen Juden Andri – der ist
eigentlich sein uneheliches Kind, und er gab
nur vor, er sei ein jüdisches Findelkind, dessen
er sich angenommen habe. Can ist entsetzt
über die Ignoranz seiner Landsleute und deren
diffuse Angst vor dem Fremden, dem Feind und
am Ende auch dem Freund.
Die Aufführung ist ein Lehrstück für das
Publikum und dient sicher auch der Bildung der
Schülerinnen und Schüler, die im Begleitheft
darstellen, wie schwer manchmal die
Identifikation mit den Rollen fiel. Da ist der
verachtende und verachtenswerte Soldat
Peider oder der steife und unbelehrbare
Tischlermeister Prader, die, in ihren Urteilen
über das Menschliche unabrückbar gefangen,
auch am Ende, als alles zu spät ist, nicht
zweifeln.
„Ich, ich habe nicht gewusst...“ – dieser Satz
hallt wieder und immer wieder durch den
kleinen Saal, wenn die Andorraner zur
Rechenschaft gezogen werden sollen.
Untermalt von einem seltsamen Brummen, das
klingt wie eine Störung des Mikrofons, gräbt
sich diese Kakophonie in die Ohren der
Zuschauer, doch auf der Bühne scheint
niemand sie zu hören. Und so trifft auch
niemanden die Schuld, denn die ist kollektiv
und ein jeder kann sich in der Masse
verstecken.
Von Elena Müller
theater et zetera
Theater hat seine eigene Wirklichkeit. Der
Zuschauer lehnt sich zurück und akzeptiert die
Spielregeln: So kann er in 90 Minuten ganze
Epochen an allen erdenklichen Orten der Welt
erleben - erschaffen auf den Quadratmetern
einer Bühne und der Imaginationskraft der
Schauspielerei.
Nicht anders verfährt theater et zetera. Nur
dass es dauernd die Spielregeln ändert - und
so Blicke auf ungesehene Realitäten öffnet.
Andorra
Landungsbrücken Frankfurt / 21. April 2015